Traumen können im Leben schon in jungen Jahren vorhanden sein. Obwohl wir uns ihrer oft nicht bewusst sind, werden sie manchmal tief in unserem Unterbewusstsein verdrängt. Bis wir sie nicht bewusst aufnehmen und an die Oberfläche bringen, können wir nicht glücklich sein.
Expertin Tanja Erdmann teilt mit uns ihre Geschichte und wie sie es geschafft hat, ihr Trauma zu überwinden.
Es war ein warmer Augustabend im Jahre 1996. Ich war damals 14 und meine Schwester 16. Wir wohnten zu viert in einer Doppelhaushälfte in einer kleinen, ruhigen Stadt.
Meine Eltern haben mir immer eingeschärft, die Tür per Schlüssel abzuschließen. Und so pflichtbewusst wie ich war, hatte ich es auch immer gemacht. Bis auf diesen Abend.
Unsere Freunde waren da. Also meiner und der Freund von meiner Schwester. Die Eltern waren schon im Bett und wir – vier Jugendliche – alberten in unserem Kinderzimmer herum. Wir versuchten leise zu kichern, aber es gelang uns nicht.
Ich hörte ein Geräusch im Flur und wollte aus der Küche Wasser holen, und gleich nachschauen, woher das Geräusch kam.
Als ich an der Kinderzimmertür ankam, flog sie auf und zwei maskierte Männer traten in das Zimmer ein. Sie sagten: „Alle bleiben an ihren Plätzen.“
So ein unlustiger Witz, dachte ich, und versuchte mich an den Männern vorbeizudrängen, um endlich mein Wasser holen zu können.
Ich war mir ganz sicher, dass die Männer ihre Masken gleich abnehmen und rufen würden: „Kleiner Scherz. Hallo Alter!“.
Ich dachte, es waren die Freunde von meinem Freund.
Sie wiederholten ihre nervöse Bitte, ich möge doch bitte Platz nehmen, noch einmal, und reagierten damit, dass sie mich aus dem Zimmer schubsten. Da stand der dritte Maskierte und passte wahrscheinlich auf die Eingangstür auf.
Und dann ging alles ganz schnell. Er drehte mich zu sich und presste das riesige, zweischneidige Messer an meine Kehle. „Sei leise“, sagte er heiser. Und ich verstand.
Mein Freund, meine Schwester und ihr Freund wurden im Kinderzimmer eingesperrt.
Meine Eltern wurden gefesselt und ich hörte nur: „Wenn du nicht mit dem Geld und den Wertsachen rausrückst, dann bringen wir die Ohren deiner Tochter her.“ Meine Eltern wussten nicht, welche Tochter gemeint war.
Es ging um meine Ohren.
Ich wusste nicht, wie lange ich dort stand. Zeit schien ihre Bedeutung komplett zu verlieren. Sie war nicht existent. Das Messer kratze nervig an meiner Haut und der Mann atmete nervös.
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Musste ich da schon ein Trauma überwinden?
Die Antwort, aus tiefstem Herzen, lautet – nein. Es gab in dem Moment absolut kein Problem für mich oder gar Trauma. Ich stand da und war voller Vertrauen.
Nicht in einer Sekunde dachte ich an meinen Tod.
Mein Leben zog auch nicht an meinem inneren Auge vorbei. Ich hatte schlicht weg kein Problem.
Um mir die Zeit zu vertreiben, begann ich ganz genau zuzuhören. Einer der Männer rief den Spitznamen Rambo in den Raum und kassierte gleich eine Ohrfeige.
War wahrscheinlich der Anführer, der austeilte, überlegte ich. Ich versuchte mir die Klamotten und Gangarten oder Tattoos der Männer zu merken. Ich wusste, nachher kommt die Polizei und da will ich etwas zu berichten haben.
Als die Männer endlich ihre großen Taschen mit allem vollstopften, was sie tragen konnten (und wir besaßen nicht wirklich viel), da schnappten sie sich unseren Autoschlüssel und hauten ab. Mitsamt Auto.
Polizei kam und es klopfte an der Tür. Der große Bruder meines Freundes wollte wissen, was wir hier bis 4 Uhr morgens trieben.
Die Eltern würden sich Sorgen machen. 4 Uhr morgens? Ach du meine Güte. Ich stand also beinahe 5 Stunden mit dem Messer am Hals? Immer noch war ich voller Vertrauen. Es war nicht wirklich etwas passiert.
Wir waren alle ok. Müde, aber ok. Das sollte leider nicht so bleiben.
Was ist ein Trauma?
Mein Problem begann sich zu formen, als die Erwachsenen meine Haltung so gar nicht annehmen konnten. Auf der Polizeistation hörte ich immer wieder die gleiche Aussage: „Aber es muss doch schlimm für dich gewesen sein!
Du bist ja fast gestorben!“ Es gibt kein fast gestorben, fand ich. Entweder man ist tot, dann betrifft mich das nicht, denn ich würde es nicht wissen.
Oder man ist nicht tot, dann ist jetzt in diesem Moment alles ok, denn ich bin ja da.
Aber niemand fand es ok, dass ich ok war. Meine Eltern griffen zum Alkohol und mich plagten ab sofort die Zweifel. Sollte ich mir vielleicht doch Sorgen machen?
Die Männer, die mit unserem Auto abgehauen waren, krachten wenige Meter von unserem Haus entfernt in eine Bushaltestelle und verletzten sich schwer. Sie wurden beinahe sofort geschnappt und dem Richter vorgeführt.
Und auch der Richter fand meine Haltung so gar nicht ok, und stellte Fragen zu meiner Angst und Panik. Ich konnte nichts davon finden und fand mich immer problematischer.
Anscheinend wollten die Erwachsenen, dass ich ein Problem fand. Und ich fand eins. Aber das wusste ich noch nicht.
Trauma Therapie: The Work Methode
Jahre später, ich war Mitte dreißig, stand ich in der Küche und schälte die Karotten. Ein Bild samt der Emotion tauchte auf – Flashback.
Mir wurde schwindelig. Ich spürte ein heftiges Gefühl, konnte es aber nicht in Worte fassen. Was war das? Was tat mir so weh?
Zu diesem Zeitpunkt war ich mit der Methode The Work bereits vertraut. Bei dieser Methode wird ein stressiger Glaubenssatz untersucht. Das Problem war, ich wusste nicht genau wie mein Satz lautete. Ich wusste nur, es hatte etwas mit diesem Augustabend zu tun.
Ich buchte eine Session bei einer sehr erfahrenen The Work Coachin und erzählte ihr kurz, worum es ging.
Mich interessierte, wie ich ein Trauma überwinden soll, wenn ich kein Trauma sehe. Ich konnte noch Jahre später dieses tiefe Vertrauen in mir spüren, das ich hatte, als ich stundenlang mit dem Messer an der Kehle stand.
The Work ist so genial und sanft zugleich, dass buchstäblich jedes Trauma und jeder Satz hochkommen wollen. Sie zeigen sich einfach.
In Form eines Bildes, Gefühls oder einer Erkenntnis. Als ich von der Zeit nach dem Vorfall erzählte, bemerkte ich starke Schmerzen in der Magengegend. Da lohnt es sich immer, genauer hinzuschauen.
Wie kann ich ein Trauma überwinden?
Um das eigene Trauma überwinden zu können, muss man es anschauen wollen. Man muss bereit sein. Ich war bereit. Ich schaute hin. Was tat mir weh? Was konnte ich mir nicht verzeihen? Und da fand ich es.
In einem unbedachten Moment sagte meine Mutter: „Hättest du die Tür zugemacht, dann wäre nichts Schlimmeres passiert.“
Sie meinte es nicht so böse, wie es vielleicht in meinen Kinderohren klang. Ab da fühlte ich tiefe Schuld. Ich fühlte mich schuldig, dass ich meine Liebsten in diese Gefahr brachte.
Genau diesen Satz untersuchten wir in dieser sehr emotionalen Sitzung mit The Work. Mein Satz lautete: „Hätte ich die Tür zugemacht, wäre nichts Schlimmeres passiert.“
Die Coachin stellte The Work Fragen:
Ist das wahr? Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?
Und da löste sich der Knoten. Endlich, nach Jahren. Ich war mir bis zu dieser Sekunde sicher, dass ich falsch gehandelt hatte. Dass es besser wäre, wenn ich dir Tür an dem Abend abgeschlossen hätte.
Und da sah ich ganz klar ein anderes Bild vor mir. Was ist, wenn meine Schwester, wie es damals üblich war, an die Tür ging, um zu fragen, wer da war?
Die Männer hätten vielleicht versucht, sich für Freunde zu verkaufen. Schließlich hatten sie uns wochenlang beobachtet und kannten vieles über uns.
Oder sie hätten durch die Tür auf meine Schwester geschossen. Was wusste ich schon über diese Männer? Über ihre Absichten und der Bereitschaft zu verletzen? Was wusste ich darüber, wozu sie imstande waren?
Nichts. Über diese Männer wusste ich nichts.
Eins wusste ich aber nach dieser Einzelsitzung: Uns ist nichts Schlimmeres passiert. Die Geschichte war vorbei. Für immer. Wir alle lebten und nur eins machte mir Stress: meine Geschichte darüber, was hätte sein können.
Diese Gewissheit, dass es wirklich vorbei war, konnte sich endlich in mir breit machen. Ich wusste es nicht nur, ich fühlte es.
Trauma überwinden – deine Möglichkeiten
Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten zur Verarbeitung eines Traumas.
Was nicht hilft, ist:
- Alkohol/Drogen
- Weglaufen
- Beschäftigen
- Augen verschließen
- Projekte und Arbeitssucht
Was helfen kann, ist:
- Therapie, z. B. Psycho-, Gesprächs- oder Tiefenpsychologie
- The Work
- Hinschauen, fühlen, zulassen
- Körper- und Gefühls-basierte Ausdrucksformen
- Schreiben
- Selbsthilfegruppen
Der erste Schritt ist immer die Bereitschaft hinzuschauen. Hab` keine Angst vor der Vergangenheit. Sie ist vorbei. Bleibe im jetzt und suche dir Hilfe. Es ist an der Zeit, damit in Frieden zu kommen.
Alles Liebe
Tanja Erdmann
Über die Verfasserin
Tanja Erdmann ist ausgeb. Sport-, Gymnastiklehrerin und Sporttherapeutin. In ihrer Ausbildung hatte sie sich auf Psychiatrie, Psychosomatik und Sucht spezialisiert, wofür sie auch ausgezeichnet wurde.
Seit 2017 kennt und arbeitet sie als Coach für The Work. Sie unterstützt Frauen dabei, sich nicht mehr für alles allein verantwortlich zu fühlen, ihre Bedürfnisse zu äußern und das Leben mit Leichtigkeit zu genießen.