Bei Männern ist Wut gesellschaftlich anerkannt. Wut wirkt kompetent, und wütende Männer werden als durchsetzungsfähig wahrgenommen. Wütende Frauen hingegen werden gemeinhin als emotional instabil empfunden.
Frauen haben gelernt, dass es nicht gut ist, wütend zu sein. Sie haben Angst, dass es sie unbeliebt und unattraktiv macht. Aber die Wut hinunterzuschlucken, hat einen hohen Preis:
Wir verlieren einen Großteil unserer Vitalität. Geht es dir auch so?
Die beiden Körpercoaches Mirjam Köglsperger und Valerie Adolff berichten von ihren Erfahrungen:
Mirjam: Lange dachte ich, ich wäre nie wütend. Ich hatte mich stets bemüht, nicht wütend zu sein, weil ich die Wutattacken meiner Eltern als extrem beängstigend, verunsichernd und angsteinflößend empfand.
Ich kanalisierte meine Wut eher in Depressionen und chronische Verspannungen. Es hat eine Zeit gedauert, bis ich lernte, dass ich die ganze Zeit wie auf einem Pulverfass lebte.
Je älter ich wurde, desto poröser wurden meine Schutzmechanismen, und die Wut brach sich immer wieder mal Bahn.
Und ich merkte, dass lange unterdrückter Ärger sehr zerstörerisch sein kann.
Erst die Körperarbeit nach der Grinberg Methode hat mir gezeigt, wie ich diese inneren Spannungen lösen kann und wie ich, statt immer schwächer und kränker zu werden, die vitale Kraft der Wut nutzen kann, um gesünder, kreativer und effektiver zu werden.
Valerie: So wie Mirjam hatte auch ich immer wieder Schwierigkeiten, meine Wut in den Griff zu bekommen. Als Mutter war ich oft frustriert, weil mein Sohn nicht das machte, was ich von ihm erwartete.
Dasselbe Gefühl hatte ich, wenn Unerwartetes passierte oder ich etwas vorbereitet hatte und das Leben dann überraschend eine andere Richtung nahm.
Ich wurde immer unzufriedener und nörgelte andauernd herum, und das zeigte sich schließlich auch in Körper und Geist.
Doch ich bekam Hilfe durch Sitzungen mit Beatriz Fernandez, Lehrerin der Grinberg Methode. Das war mein Aha-Moment: Hier lernte ich mit meiner Wut anders umzugehen.
Ich empfand es als eine so ungemeine Bereicherung in meinem Leben, dass ich danach angefangen habe, mich intensiv mit Körperarbeit und emotionaler Intelligenz zu beschäftigen.
Heute begleite ich selbst Familien in Phasen, in denen vor lauter Wut die Türen knallen, und helfe Müttern von Pubertierenden, die mit ihrer Kraft am Ende sind.
Diese Entwicklung habe ich geschafft und bin überzeugt davon, dass alle Frauen lernen können, in ihren Beziehungen Brücken zu bauen, die sie wieder zufrieden und glücklich machen. Man muss nur damit anfangen.
Was uns beiden heute immer wieder hilft, mit unserer Wut umzugehen, teilen wir hier mir dir exklusiv:
Wut ist eine natürliche körperliche Reaktion
Bei Frauen hat Wut – wie schon angedeutet – einen schlechten Ruf. Aber sie ist eine ganz natürliche Reaktion, die sich körperlich äußert.
Als Körpercoaches geht es uns darum, neue Formen des Umgangs mit der Wut zu unterrichten. Das Ergebnis sind weniger körperliche Anspannungen, weniger Schmerzen, erholsamerer Schlaf und verbesserte Kommunikation mit anderen.
Warum werden wir eigentlich wütend?
Die Wut zeigt uns, dass jemand eine Grenze überschritten hat. Oder sie ist ein Zeichen dafür, dass wir unsere Bedürfnisse vernachlässigt haben. Dann ist es Zeit, dass wir uns um uns selbst kümmern.
Der erste Schritt besteht darin, zu erkennen, was wir brauchen. Denn es geht nicht um Schuldzuweisung, sondern darum, was uns wichtig ist.
Ist es Sicherheit? Oder suchst du nach Wertschätzung und Verständnis? Fehlen dir Empathie, Respekt und Anerkennung? Oder sehnst du dich nach festen Strukturen?
Wie reagieren Frauen in der Regel, wenn sie wütend sind? Und wie reagierst du?
Glaubst du, dass du eigentlich nie wütend bist?
Oder bist du oft frustriert und unzufrieden?
Nörgelst du oft herum und beschwerst dich über alles Mögliche?
Mit solchen Verhaltensweisen stellt sich bei Frauen ihre unterdrückte Wut dar. Wir haben diese Muster gelernt, weil sie vermeintlich weniger zerstörerisch und bedrohlich sind.
Warum sollten Frauen einen neuen Umgang mit der Wut erlernen?
All diese Formen von unterdrückter Wut machen uns krank. Sowohl die in uns schwelende Wut als auch die Kraft, die wir brauchen, um sie zu unterdrücken, vergiften uns und in der Folge auch unsere Umgebung.
Meist ist unser Umgang mit der Wut ein Verhalten, das wir bereits seit vielen Jahren unbewusst wiederholen.
Es hat sich durch immer wieder ähnliche Situationen automatisiert und unser Gehirn konditioniert, sodass wir heute nur noch das Ergebnis kennen, also die unterdrückte Wut in Form von Frust, Schulterschmerzen, Druck im Bauch oder Müdigkeit nach bestimmten Gesprächen.
Denn selbst wenn wer glauben, die Wut im Griff zu haben, spürt unsere Umgebung oft, dass wir wütend sind, und das Familien- oder das Betriebsklima leidet darunter.
Wie können wir lernen, mit der Wut anders umzugehen?
Wir wollen dir hier einerseits zeigen, was du tun kannst, wenn die Wut ungehindert aus dir herausgeplatzt ist und du mit den Folgen zu tun hast.
Außerdem geht es darum, wie man alte, aufgestaute Wut auflösen und nutzen kann, um in die eigene Kraft zu kommen.
Und wir zeigen dir, wie du dich auf schwierige Situationen vorbereiten kannst.
Mit diesen 5 Schritten überwindest du alte Wut-Muster
Nimm dir etwas Zeit, suche dir einen ruhigen Ort und gehe folgende Fragen durch und schreibe dir die Antworten auf:
Schritt 1: Aufmerksamkeit
Zunächst geht es darum, deine Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken:
Was löst in dir Wut aus? Ist es eine Person, eine Situation oder deine Umgebung?
Schritt 2: Wut identifizieren
In einem zweiten Schritt geht es darum, die eigene Wut zu identifizieren.
Wie fühlt sich die Wut im Körper an? Was drückt dein Körper aus? Woran erkennst du, dass du wütend bist? Nimmst du eine bestimmte Körperhaltung ein? Ziehst du zum Beispiel den Bauch ein, oder drückst die Schultern nach vorne oder ziehst sie nach oben? Welchen Gesichtsausdruck hast du?
Schritt 3: die Reaktion
In einem dritten Schritt geht es darum, die Reaktion auf die Wut anzugehen:
Was machst du normalerweise in so einer Situation? Bewegst du dich? Welche Gedanken gehen dir durch den Kopf? Wie sprichst du, wie gehst du auf die andere Person ein? Oder ziehst du dich zurück?
Je detaillierter du dir das bewusst machst, umso besser kannst du aus den Automatismen ausbrechen.
Schritt 4: der Ausdruck
Denn im vierten Schritt geht es darum, den automatischen Ausdruck der Wut loszulassen.
Eine große Herausforderung! Denn jetzt brauchst du den Mut, offen für Neues zu sein. Bereit zu sein, die Situation zu verändern. Wenn du die Spannung löst, die die Wut in deinem Körper verursacht hat, wird dir dieser Schritt leichtfallen.
Setze dich in einem ruhigen Raum auf einen Stuhl oder lege dich auf eine Matte. Bringe deine ganze Aufmerksamkeit auf die Körperstelle, die du zuvor identifiziert hast.
Spüre die Stelle, an der dein Körper unter der Anspannung leidet, lege eine Hand darauf und erhöhe die muskuläre Spannung noch ein klein wenig.
Halte die Spannung eine Minute lang und lasse dann los. Atme tief durch und entspanne den ganzen Körper.
Schritt 5: die Lösung
Oftmals taucht dann eine unerwartete Lösung auf. Denn die Lösung liegt in dir! Hierbei schlägst du sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe.
Du tust deinem Körper etwas Gutes, indem du auf eine weniger zerstörerische Art und Weise den inneren Druck auflöst. Und durch die Entspannung eröffnet sich dir ein Weg hinaus aus dem Tunnel und hin zu neuen Möglichkeiten.
Was hilft sofort? Wie kannst du deine Wut kontrollieren?
Eine gute Sofortmaßnahme ist es zum Beispiel, aus der Situation, die dich wütend macht, herauszugehen. Bitte dein Gegenüber um eine Pause und eine spätere Wiederaufnahme des Gesprächs. Mache dann folgende Atemübung:
Im Stehen, Sitzen oder Liegen: Atme dreimal ein und aus und entspanne deine Körpermuskulatur. Dann atme ein und zähle dabei bis fünf. Danach atme aus und zähle erneut bis fünf.
Wiederhole den Vorgang eine Minute lang.
Sofern du keine schwerwiegenden Atem- oder Herzprobleme hast, kannst du die Atmung um folgende Variation erweitern:
Zirkuläre Atemübung: Einatmen und bis fünf zählen, Atem halten und bis fünf zählen, Ausatmen und bis fünf zählen, innehalten, ohne Luft zu holen, und fünf zählen.
Diese Übung kannst du bis zu zwei Minuten lang wiederholen.
Wie kannst du deine Wut „verdauen“?
Wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, also eine Situation vorbei ist und du deine gewöhnliche Reaktion nicht bremsen konntest, kannst du mit deiner Wut auch im Nachhinein noch arbeiten und sie sozusagen nachbereiten.
Dafür ist die Beschreibung der Situation, der Person oder des Ortes, der dich wütend macht, wie oben beschrieben, ein guter Einstieg.
Mache danach zum Beispiel die zirkuläre Atemübung oder eine Atemübung deiner Wahl. Das ist eine optimale Kombination, um die Wut zu „verdauen“. Mache beides idealerweise noch am selben Tag oder am Tag danach. Schiebe es nicht zu lange auf, bleibe dran!
Wie kannst du kniffligen Situationen am besten begegnen?
Dasselbe gilt für die Vorbereitung auf knifflige Situationen:
Stelle dir detailliert vor, was dich erwartet (siehe Fragenkatalog). Richte dann die Wahrnehmung auf deinen Körper: Wie spiegelt sich die Wut darin?
Lasse nach einem kurzen Moment des Beobachtens die ganze Anspannung los und atme mehrmals tief durch. Nimm die zirkuläre Atemübung hinzu und höre dann wieder in dich hinein. Was hat sich verändert?
Folgende Übung ist sehr hilfreich, wenn du schon im Vorfeld Dampf ablassen willst. Sie hilft ideal bei der Selbstregulation, denn sie baut Spannung ab und gibt dir ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität in den Beinen.
So gestärkt, bist du gut vorbereitet auf alle stürmischen Momente, die auf dich warten.
Die effektive Kick-Übung
Stelle dich aufrecht hin. Stütze die Hände auf der Hüfte ab. Achte während der Übung darauf, regelmäßig zu atmen. Führe die Bewegungen kraftvoll aus.
Ziehe das rechte Bein an und stelle es wieder auf den Boden. Wiederhole die Bewegung achtmal. Mache danach die Übung mit dem linken Bein. Der Rhythmus ist schnell.
Strecke das rechte Bein seitlich aus und führe es anschließend wieder in seine Ursprungsposition zurück. Mache das insgesamt achtmal. Achte darauf, die Hüfte nicht zu verdrehen, sodass sie stabil und nach vorne gerichtet bleibt.
Wiederhole die Bewegung achtmal mit dem linken Bein. Mache auch diese Bewegungen zügig.
Schwinge das rechte Bein ausgestreckt nach vorne. Wenn es parallel zum Boden ist, hältst du an und führst es wieder in die Ausgangsposition zurück. Wiederhole den Bewegungsablauf achtmal. Dann das Ganze mit dem linken Bein.
Nun schwinge das rechte Bein ausgestreckt nach hinten und wieder in die Ausgangs-position zurück. Wiederhole die Bewegung achtmal, und mache sie danach mit dem linken Bein.
Bleibe nach diesen vier Schritten einen Moment lang ruhig stehen und fühle nach. Wie stehst du jetzt auf deinen Beinen? Wie nimmst du den Boden unter deinen Füßen wahr?
Atme kraftvoll durch und lasse beim Ausatmen ganz bewusst dein Gewicht auf den Boden sinken.
In unserer Praxis haben wir die Erfahrung gemacht, dass Menschen sich ganz anders kennenlernen und Erfahrungen mit ihrer Wut machen, die ihnen bislang verschlossen geblieben sind.
Ganz oft sind unsere Klientinnen überrascht, wie viel passiert, wenn sie ihre Wut bewusst wahrnehmen. Wenn wir unsere automatische Reaktion auf Wut stoppen, können wir die Wut als eine Energiequelle erfahren, die uns stärker macht, klarer, selbstbewusster und mutiger in dem Bestreben, uns um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern.
Für uns als Körpercoaches ist es auch nach vielen Jahren noch ein Privileg, Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, auf dem sie lernen, ihre Wut konstruktiv für sich zu nutzen.
Wer sind wir? Valerie Adolff und Mirjam Köglsperger
Wir haben uns vor fast 20 Jahren in der Ausbildung zum Grinberg Praktiker in Barcelona kennengelernt.
Seither haben wir ganz viele Fortbildungen in der Grinberg Methodik gemacht und das gemeinsame Lernen sehr genossen.
Mirjam ist der Methodik bis heute treu geblieben und arbeitet als Praktikerin, Trainerin für Körperaufmerksamkeit und Bewegung (Gründerin des Happy Body Institutes) und arbeitet schwerpunktmässig mit selbständig arbeitenden Frauen.
Und ist Ausbilderin der Grinberg Methode.
Valerie hat sich auch in anderen Methoden stetig weitergebildet: Emotional und Social Intelligence Training im Daniel Goleman Institute.
Ihr Hauptaugenmerk liegt in der Förderung von hochbegabten, sensiblen Nonkonformisten, in Einzelsitzungen und mit deren Familien.
Ihre Erfahrung fließt auch in ihr Programm „Mindfulness und Kollektive Intelligenz“ein. Dieses Training unterrichtet sie an verschiedenen europäischen Universitäten.